Nachhaltiges Planen und Bauen – ohne Gebäudezertifikat?

Podiumsdiskussion der Bundeskammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten

Resümee der Podiumsdiskussion  der Bundeskammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten über die Messbarkeit und Zertifizierung von Nachhaltigkeit im Bauwesen.

Zusammenfassungen der Redebeiträge

© Bernhard Wolf

Zu Beginn des Abends stellte Peter Maydl, Vorsitzender des bAIK-Ausschusses Nachhaltigkeit, in einer Präsentation verschiedene Zertifizierungssysteme vor, darunter das amerikanische LEED, das britische BREEAM, das deutsche DGNB-Gütesiegel, auf dem auch das neue österreichische ÖGNI-Konzept beruht, und das österreichische TQ-B. Er machte deutlich, dass Gebäudezertifikate derzeit weltweit einen Boom erleben und immer wichtiger für eine langfristige Werterhaltung und Rendite von Immobilien werden. Es gehe um die Verbindung von ökonomischen, ökologischen und soziokulturellen Aspekten in guter Architektur.

© Bernhard Wolf
 

Michael Narodoslawsky vom Institut für Prozess- und Partikeltechnik der TU Graz wies darauf hin, dass Nachhaltigkeit nicht zur Rettung des Planeten sei, sondern ein menschheitszentriertes Konzept darstelle, bei dem es um das langfristige Überleben der Menschheit gehe. Als neues Entwicklungsparadigma ziele die Diskussion um Nachhaltigkeit darauf ab, mit den Beschränkungen von Ressourcen und dem damit einhergehenden Wandel gewohnter wirtschaftlicher und politischer Systeme umzugehen. Gebäudezertifikate taugten zum Messbarmachen von Nachhaltigkeit und sollten so Leitelement baulicher Entscheidungen sein. Ein Bauwerk überdauere ein bis zwei Generationen und müsse dementsprechend langfristig ökologisch und sozioökonomisch gedacht werden. Der Gesetzgeber müsse den Rahmen für die Anwendung der Bewertungskriterien mit sanftem Druck etablieren. 

© Bernhard Wolf
 

Karl Friedl, Geschäftsführender Gesellschafter von bene Consulting, merkte kritisch an, dass Gebäudezertifikate bisher primär aus Marketinggründen eingesetzt würden. EntwicklerInnen, NutzerInnen und Immobilienfonds hätten unterschiedliche Interessen. Bauherren würden schnell vermieten oder verkaufen wollen – in der Wertermittlung von Immobilien spiele Nachhaltigkeit bisher jedoch keine Rolle. Doch ein Vergleich der Wirtschaftlichkeit von Gebäuden zahle sich aus, wenn Errichtungs- und Betriebskosten über den gesamten Lebenszyklus hinweg zusammen gedacht und somit Qualitätssicherung betrieben würde. Man müsse die Beeinflussbarkeit dieser Faktoren bereits in der Planung, nicht erst im Zuge der Gebäudeerrichtung berücksichtigen. Dazu brauche es Kennwerte zur Kalkulation, um den monetären Wert von Nachhaltigkeit bestimmen zu können. Wenn NutzerInnen und InvestorInnen merkten, dass durch Nachhaltigkeit mehr Geld in der Börse bleibt, setze sich das Konzept leichter durch. Die Energiekosten selbst machten schließlich nur rund zehn Prozent der Gebäudekosten aus. 

© Bernhard Wolf
 

Als einer der Entwickler des österreichischen TQ-B-Standards erläuterte Manfred Bruck, Ingenieurkonsulent für technische Physik, dass heute alle Kriterien des Zertifikats transparent seien. Dadurch werde eine Berechnung der auftretenden Kosten und somit die Prioritätensetzung schon in der Planungsphase möglich. Außerdem sollten externe Folgekosten von Bauentscheidungen (also nicht von den Projektbeteiligten verursachte Schadens- und Vermeidungskosten) ebenfalls schon früh berücksichtigt werden. Ein größeres Problem als in den Kosten sieht Bruck jedoch in Rechtsfragen, also der grenzüberschreitenden Haftung für ausgestellte Zertifikate. Die EU gehe bisher einen guten Mittelweg zwischen Staat und Markt, weil sie zwar Grundregeln für alle verbindlich festsetze, diese jedoch mit nationalen Freiheiten marktgerecht umgesetzt werden könnten. Umfassende EU-Normen seien bereits in zwei bis drei Jahren zu erwarten. Dann setzten wie gewohnt nationale Übergangsfristen ein. Am sinnvollsten wäre es, so Bruck, die Lebenszykluskosten auf zehn bis fünfzehn Jahre hinaus aufzuführen – nicht für den gesamten Gebäudezyklus – und dann je ein „Worst and Best Case Scenario“ anzuführen, die die Schere der möglichen Kosten aufzeigen.

© Bernhard Wolf
 

Johannes Kislinger, Geschäftsführer von AH3, vertrat die Sicht des Architekten. Nachhaltigkeit sei vor allem unter kaufmännischen Gesichtspunkten durchsetzbar, wenn für die Auftraggeber klare monetäre Anreize dahinter stünden und ArchitektInnen diese umsetzen müssten. Dazu müssten die ZiviltechnikerInnen nicht zwingend das gesamte Bewertungssystem verstehen, aber die Gesamtverantwortung am Bau auch in diesem Bereich wahrnehmen. Sinnvoll sei es hierbei auch, bereits in der Wettbewerbsvorbereitung Nachhaltigkeitsaspekte mit einzubeziehen.


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